In Plüschgewittern
„Ich stehe auf der Autobahnraststätte Würzburg-Haidt, in der Nähe der Ausfahrt, an einen blauen Mietlaster gelehnt.“
Die Geschichte eines namenlosen Mannes um die dreißig, der planlos und exzessiv durch die Berliner Szene-Welt treibt. Dabei beobachtet er viel, kritisiert seine Umwelt und leidet unter dem Zustand der Welt. Bevor er in Berlin landet, trennt sich der Protagonist auf dem Autobahnrastplatz von seiner langjährigen Freundin. Sie fährt alleine mit dem Transporter nach Frankfurt, er trampt nach Hamburg zu seinem Bruder Volker und dessen schwangerer Freundin Marit, die das Elternhaus übernommen haben und deren spießiges und geordnetes Leben er nicht erträgt.
Marit kann er aufgrund ihrer Naivität und „absurden Toleranz“, aber auch wegen ihrer „unappetitlichen Neigung“ zu Rilkes Frühwerk nicht leiden, weshalb er sie gerne mit dessen „Pimmelgedichten“ ärgert und ihr auf der Spießer-Party, auf der es vor allem um Nachwuchs und Urlaub geht, besoffen die Füße küsst.
In Berlin angekommen, stürzt sich der Ich-Erzähler mit seinem besten Freund Desmond leidenschaftlich in ein planloses Leben zwischen Rausch und Ernüchterung, in dem es nur eine Konstante gibt: die ewige Suche nach irgendeiner Erkenntnis, der nächsten Party oder, ach so banal, der perfekten Frau, am besten einer „Proust-Spezialistin“, die „die ganze Zeit unglaublich charmant und gescheit“ ist, über Desillusion und Erinnerung redet und nie über sich, denn mit den Frauen „könnte alles so einfach sein. Sie müssten nur Proust lesen, keine Handtäschlein tragen und diesen Quatsch mit den Kindern vergessen. Und dann noch ein bisschen Trinkfestigkeit.“
Die Frau, die ihm dann schließlich den Kopf verdreht und beim ersten Date die fünf Ausnahmen der Abseitsregel aufzählt, erklärt sie beide jedoch für sexuell inkompatibel. Alkohol und Fragen kreisen noch ein bisschen im Kopf des Protagonisten und so versteht er erst ein paar Drinks und eine Absturzkneipe später, dass die Frau, die eigentlich gar nicht sein Typ ist „auf einmal“ lesbisch und er verliebt ist.
Neben dem Berlin-Gefühl, das in Friedrichshain immer noch auf 90er macht, Partys auf Altbau-Dächern und WG-Exzessen bringt das Großstadtleben auch nachdenkliche Momente. Denn letzten Endes fühlt sich der Protagonist einsam und unverstanden zwischen Menschen voller Ehrgeiz, Zwang zur Selbstverwirklichung und schablonenhaften Meinungen.
Wolfgang Herrndorf ist und bleibt unvergessen und einer meiner absoluten Lieblingsautoren. Seine Werke haben alles, was ich mir von guten Büchern wünsche, vor allem Klugheit, Witz und eine geistreiche Sprache.
Wolfgang Herrndorf, In Plüschgewittern, Rowohlt, 183 Seiten, Taschenbuch A 9,30 Euro, D 8,99 Euro.