Deutsches Haus

Das „Deutsche Haus“, ein bürgerliches Gasthaus in Frankfurt am Main in den frühen 60er Jahren: die Familie Bruhns serviert Gänse und Rotkohl, Schnitzel und Bratkartoffeln. Vater Ludwig schuftet trotz Rückenschmerzen in der Küche, Mutter Edith serviert, Tochter Eva hilft hinter dem Tresen aus. Ihre ältere Schwester Annegret arbeitet als Säuglingsschwester, der kleine Bruder Stefan spielt mit dem Familiendackel Purzel. Es sind die Wirtschaftswunderjahre: im Hause Bruhns gibt es zu Weihnachten die erste Waschmaschine, Edith singt zu den neuesten Schlagern aus dem Radio, die Damen tragen schicke Kostüme und modische Frisuren. Die Bruhns gehen liebevoll miteinander um, sie kümmern sich um ihre Mitmenschen, arbeiten fleißig. Also alles in Ordnung hinter den Spitzengardinen des Deutschen Hauses?

Eva ist Übersetzerin für Polnisch. Sie wird an einem Sonntag überraschend zur Staatsanwaltschaft beordert und soll den Bericht eines polnischen Mannes übersetzen. Auch in den Tagen und Wochen darauf sind ihre Dienste gefragt. Sie soll für Zeugen und KZ-Überlebende dolmetschen  –  beim ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main, der am 20. Dezember 1963 begann. Am Gericht wird Eva mit den grausamen Details des Holocaust konfrontiert. Von dem, was sie dort hört, ist sie zutiefst schockiert. Noch nie hat sie von all diesen Dingen gehört. Der Blick zurück wird nicht nur in ihrer Familie vermieden. Um die Kriegsjahre und die begangenen Verbrechen hüllt man den Mantel des Schweigens und zeigt sich beschäftigt mit den Wirtschaftswunderjahren. Die ganze deutsche Gesellschaft ist geprägt von Verdrängung, Ignoranz und mangelndem Schuldbewusstsein. Gegen den Willen ihrer Eltern und ihres Verlobten setzt Eva eine Mitarbeit am Prozess durch und hört auch dann nicht auf, als sie sich mit der Verantwortung ihrer eigenen Familie auseinandersetzen muss.

Die Deutschen und die Schuld – darum geht es also hauptsächlich in dem Roman von Annette Hess. Auch um die zweite Schuld, wie sie der Schriftsteller Ralph Giordano genannt hat: die Schuld durch das Verschweigen der Verbrechen an den Juden und das Davonkommenlassen der Verantwortlichen. All das erzählt am Beispiel einer Frau, die Eva heißt… das mag zwar etwas plump erscheinen, aber die Entwicklung Evas ist das, was die Faszination der Geschichte ausmacht. Ausgehend von einer erschreckenden Unkenntnis erkämpft sie sich die Wahrheit und ihre Rolle als moderne Frau, die nicht ihre Hochzeit vorne anstellt, sondern ihre Mitarbeit am Gerichtsprozess.

Annette Hess

Die Autorin Annette Hess hat bereits als Drehbuchautorin der Fernsehserien Weissensee und Ku´damm 56 ein einprägsames Bild des Lebens im Deutschland der Nachkriegsjahre geschaffen. Ihrem ersten Roman merkt man die Verbindung zum Film an. Mit seinen szenischen, sehr bildlichen Beschreibungen ist er sicherlich für eine Verfilmung vorgesehen.

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Link zum Verlag| www.geniallokal.de


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