In Zeiten des abnehmenden Lichts

„Zwei Tage lang hatte er wie tot auf seinem Büffelledersofa gelegen.“

Die Geschichte einer Familie, die gleichzeitig eine deutsche Geschichte ist. Ein Kaleidoskop des zwanzigsten Jahrhunderts, das von den fünfziger Jahren bis 2001 und von Russland bis Mexiko reicht. Der Titel des Romans meint dabei den Untergang von Ideologien, die Utopie des Sozialismus und ihr langsames Verschwinden, aber auch den persönlichen Verfall. Und trotzdem ist es kein schwermütig anstrengendes Buch, sondern eine geistreiche, oft amüsante Erzählung voller skurriler Situationen.

Vier Generationen werden in eindrucksvoll ineinander gewobenen Episoden vereint. Urgroßvater Wilhelm, ganz linientreuer Kommunist, ist über jede Kritik am Staatsapparat der DDR erhaben. Die komische Essenz seiner unbelehrbaren Überzeugung manifestiert sich im Refrain seines Lieblingslieds: „Die Partei hat immer recht“.

Wilhelm und seine Frau Charlotte waren zu Zeiten des Nationalsozialismus im mexikanischen Exil und kehren erst 1952 nach Deutschland zurück. Wilhelms Stiefsohn, Kurt Powileit, im mexikanischen Exil geboren, flieht als Kommunist aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Russland. Später kehrt er mit seiner Familie nach Ostdeutschland zurück und macht sich in der DDR als Historiker einen Namen. Er ist mit der Russin Irina verheiratet, die sich am Ende völlig in ihre russische Sprache und den Alkohol flüchtet. In der erzählten Gegenwart, im Jahr 2001, ist Kurt bereits stark demenzkrank.

Sein Sohn Alexander ist der Vertreter der dritten Generation und die zentrale Figur des Romans. Er ist unheilbar krank, sein Studium hat er abgebrochen. Entgegen der Überzeugung von Vater und Großvater entscheidet er sich gegen das System und geht, ausgerechnet unmittelbar vor dem runden Geburtstag des Großvaters, in den Westen. Die vierte Generation schließlich, ist durch den vierzehnjährigen Markus vertreten, für den die Erlebnisse von Vater, Großvater und Urgroßvater nur noch fern empfundene Geschichte sind und dem Wilhelm wie ein Flugsaurier erscheint: „Tatsächlich erinnerte die ineinandergeschobene Knochengestalt mit ihren bis zu den Ohren aufragenden Knien, den über die Seitenlehnen hängenden Flügelarmen und der riesigen langen Schnabelnase an den fossilen Abdruck jenes ausgestorbenen Reptils, das Markus immer am meisten beeindruckt hatte.“

Abstrus komischer Mittelpunkt der Erzählung ist Wilhelms 90. Geburtstag am 1. Oktober 1989, an dem die Familienmitglieder kurz vor dem Fall der Mauer mit all ihren Eigenheiten und Unzulänglichkeiten aufeinandertreffen. Dieser Tag wird aus den unterschiedlichen Perspektiven der Hauptpersonen immer wieder erzählt. Hier verschmelzen alle Themen, Charaktere und politischen Differenzen zu einem grotesk unterhaltsamen Kammerspiel vor der Kulisse des letzten Aufbäumens der Linientreuen und der versammelten Parteiprominenz kurz vor dem Untergang der DDR.

Nicht irgendein langatmiges Familienepos vor der Kulisse der wechselhaften deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, sondern eine Familie im Zentrum einer unterhaltsamen und klugen Erzählung voller komischer Momente. Am Ende angelangt habe ich es mir dann doch ein bisschen langatmiger gewünscht.

Eugen Ruge, In Zeiten des abnehmenden Lichts, Rowohlt, 425 Seiten, Taschenbuch A 10,30 Euro, D 9,99 Euro.

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