Altes Land

„In manchen Nächten, wenn der Sturm von Westen kam, stöhnte das Haus wie ein Schiff, das in schwerer See hin- und hergeworfen wurde.“

Im alten Land südlich der Elbe bei Hamburg bestimmen Apfel- und Kirschblüte das Leben der Menschen. Ehrwürdige, knarrig moosige Reetdachhäuser prägen die Landschaft. Ein solches Haus wird das neue Heim von zwei Frauen auf der Flucht. Der Roman bewegt sich dabei zwischen Nachkriegsgeschichte und Gegenwart.

Vera strandet als Flüchlingskind 1945 aus Ostpreußen im Alten Land. Von ihrer Mutter verlassen, bleibt sie beim Hoferben Karl und erbt schließlich das Altländer Haus, das sie mehr und mehr verkommen lässt. Auf ihre eigene Art hat sie sich mit dem Leben arrangiert und kommt, abgesehen von wortkargen Zweckfreundschaften, alleine wunderbar zurecht.

Jahre später steht auch Veras Nichte Anne als Flüchtling mit ihrem Sohn Leon vor der Tür des alterwürdigen Hauses. Als gescheiterte Musikerin ist sie „zu etwas Treibendem geworden, ein Lebewesen, das mit der Strömung dümpelte, ein Schwebetier, ein Planktonteil im Meer.“ Konkret flieht Anne vor ihrem Leben in Hamburg: vor dem Vater ihres Sohnes Leon, der eine andere liebt, dem ernüchternden Berufsalltag in der Musikschule Musimaus und den Vollwert-Müttern aus Hamburg-Ottensen, „die jeden Tag aus ihren Altbauwohnungen strömen, um ihren Nachwuchs zu lüften, die Einkäufe aus dem Bio-Supermarkt im Netz des Testsieger-Buggys, den Kaffeebecher in der Hand und im Fußsack aus reiner Schafwolle ein kleines Kind, das irgendetwas Durchgespeicheltes aus Vollkorn in der Hand hält.“

Doch das Alte Land ist in der Gegenwart nicht nur für Anne Zufluchtsort. Auf der Suche nach Landlust strömen sinnsuchende Städter ins scheinbare Idyll. Sie kaufen Apfelbaumpatenschaften, fahren Liegerad und schreiben Reportagen über Rehwurst für Slow-Food-Magazine.

Sehr schöne Sommerlektüre, die den Spagat schafft zwischen Nachdenklichkeit und Unterhaltung. Bei all den ernsten Themen wie Kriegstraumata, Heimatsuche und Familienkonflikten kommt die Situationskomik nie zu kurz.

Dörte Hansen, Altes Land, Albrecht Knaus Verlag, 288 Seiten, Gebunden A 20,60 Euro, D 19,99 Euro.

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